Zimmergeschichten Ludwig Thoma

Zimmer 22 – Ludwig Thoma

Geboren 21. Januar 1867
Gestorben 26. August 1921

Der Bittgang nach Andechs

Ludwig Thoma und sein Freund Hermann Hesse, Herausgeber der Zeitschrift “März”, wurden wegen eines im Simplizissimus veröffentlichten Spottgedichts wegen “Beleidigung einiger Mitglieder eines Sittlichkeitsvereins” zu sechs Wochen Haft verurteilt.

Ludwig Thoma musste diese Haftstrafe in Stadelheim bei München absitzen.

In der Haft hatten Ludwig und Hermann regen Schriftverkehr und beschlossen, gleich im Anschluss an die ungerechtfertigte Strafe eine Art Bußwanderung zum heiligen Berg zu machen und sich hinterher das ein oder andere Bier am Fuße des Berges schmecken zu lassen. Dort sollte, so sagt man, ein recht vernünftiges Wirtshaus sein – Die Post.

Um dem Ganzen einen Anstrich der ernsthaften Bußbereitschaft zu geben beschlossen die beiden, Erbsen in die Schuhe zu tun, so wäre jeder Schritt eine ernstgemeinte Kundgebung der Abbitte. Selbst das Bier verkniffen sich die zwei und begannen, mit einer mit Wasser gefüllten Feldflasche, den Aufstieg auf den heiligen Berg.

Der Hermann tat sich nicht so leicht und wollte aber nichts zum Ludwig sagen, denn dieser ging gar beschwingt den Berg hinauf, quer durchs Kiental bei strahlend schönem Wetter.

Kurz vor Andechs hielt es Hermann Hesse nicht mehr aus und meinte zu Ludwig “I muaß jetzt amoi rasten und mi hi setzen. Sackl Zement, meine Fiaß brenna wias hellichte Feier.”

Die zwei Pilger verschnauften, Ludwig hatte ein spitzbübisches Grinsen im Gesicht und so prächtige Laune, dass es Hermann schon komisch vorkam. “Du Ludwig… i glab alaweil, du host gar koane Erbsen in deine Schuha!?”

“Ja Herrmann, ja was glabstn du von mia? Moanst i dad an heiligen Rasso betrügen? Aber woast Hesse”, das Grinsen nahm noch ein bisschen stärker zu, “woast Hermann, i war so schlau und hab gestern an Erbseneintopf kocht!”

Herrmann Hesse war zuerst sprachlos und auch ein bisschen ungehalten – nach ein paar Minuten lachten jedoch beide und machten sich auf, die letzten Meter des heiligen Bergs zu erklimmen.

Oben angekommen tranken sie ihr wohlverdientes Bier und bevor sie sich auf den Abstieg machten, schauten beide entsetzt auf die Füße von Herrmann, die voller Blasen waren.­

Mit schlechtem Gewissen machten sich die beiden auf den Abstieg. Hermanns Füße taten so weh, dass Ludwig ihn fast das ganze Stück den Berg hinunter auf dem Buckel trug.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, es war bereits tiefe Dunkelheit angebrochen, kamen die beiden unten in der Post an.

Im Kienbach kühlten sie ihre Füße. Die lustige Bedienung Chrissi versorgte sie erst mit einem kalten Bier, dann mit einer Rosssalbe, die sie im Stall vom Stallburschen bekam. Danach erst servierte sie den Beiden das wohl köstlichste Schnitzel mit Bratkartoffeln.

Körperlich nicht ganz unversehrt gingen die beiden schlafen. Selbst im Schlaf musste Ludwig lachen – über das Gesicht von Herrmann Hesse. Immer wenn er lachte, tat ihm das Kreuz weh.

Und die Moral von der Geschichte:
“Es gäbe kein Gesetz und keine gesellschaftliche Moral, die mich hindern könnte, glücklich zu sein.”

“Es gibt Berge, über die man hinüber muss, sonst geht der Weg nicht weiter.”

Als sich Ludwig nach Monaten von den Strapazen des Andechser Bittganges erholt hatte, fuhr er nochmals nach Herrsching in die Post. Zum einem, um nochmal so ein köstliches Schnitzel verzehren zu können, zum anderen, um sich bei der lieben Bedienung für die Rosssalbe zu bedanken.

Diesmal reservierte er vorab eine schöne Kammer.

Zufrieden mit sich und der Welt legte er sich auf die gemütliche Matratze und kroch unter die Daunenfedernbettdecke.

Man munkelt, dass in dieser Nacht in der Post der Grundstein zum “Münchner im Himmel” gelegt worden ist, denn wo könnte man dem Himmel näher sein als hier unten in der Post direkt am Fuß des heiligen Berges!?